<%@LANGUAGE="JAVASCRIPT" CODEPAGE="1252"%> Steffens on Novalis

The following excerpt is from Was Ich Erlebte, by Henrik Steffens.

In Jena lernte ich nun auch Novalis kennen. Ich hatte viel von ihm sprechen hören. Es war kaum ein Mensch, nach dessen persönlicher Bekanntschaft ich mich wärmer sehnte. Ich traf ihn zuerst bei Friedrich Schlegel, in dessen Armen er ein paar Jahre danach verschied. Sein Äußeres erinnerte dem ersten Eindruck nach an jene frommen Christen, die sich auf eine schlichte Weise darstellen. Sein Anzug selbst schien diesen ersten Eindruck zu unterstützen; denn dieser war höchst einfach und ließ keine Vermutung seiner adligen Herkunft aufkommen. Er war lang, schlank, und eine hektische Konstitution sprach sich nur zu deutlich aus. Sein Gesicht schwebt mir vor als dunkel gefärbt und brünett. Seine feinen Lippen, zuweilen ironisch lächelnd, für gewöhnlich Ernst, zeigten die größte Milde und Freundlichkeit. Aber vor allem lag in seinen tiefen Augen eine ätherische Glut. Er war ganz Dichter. Das ganze Dasein löste sich für ihn in eine tiefe Mythe auf. Gestalten waren ihm beweglich wie die Worte, und die sinnliche Wirklichkeit blickte aus der mythischen Welt, in welcher er lebte, bald dunkler, bald klarer hervor. Man kann ihn nicht einen Mystiker im gewöhnlichen Sinne nennen; denn diese suchen hinter der Sinnlichkeit, von welcher sie sich gefangen fühlen, ein tieferes Geheimnis, in welchem ihre Freiheit und geistige Wirklichkeit verborgen liegt. Ihm war diese geheime Stätte die ursprüngliche klare Heimat; von dieser aus blickte er in die sinnliche Welt und ihre Verhältnisse hinein. Die ursprüngliche Mythe, die zu seinem Wesen gehörte, schloß ihm selbst das Verständnis der Philosophie, aller Wissenschaften, der Künste und der bedeutendsten geistigen Persönlichkeiten auf. Daher war die wunderbare Anmut seiner Sprache, die Melodie seines Stils nichts Erlerntes, sondern ihm eben das Natürlichste; daher bewegte er sich mit gleicher Leichtigkeit in der Wissenschaft wie in der Poesie, und die tiefsten, ja schärfsten Gedanken konnten ihre Verwandtschaft mit dem Märchen ebenso wenig verleugnen wie das bunteste, scheinbar willkürlichste Märchen seine wenn auch verborgene spekulative Absichtlichkeit. Die Lehrlinge zu Sais und Heinrich von Ofterdingen mußten einen tiefen Eindruck hervorbringen und schienen, seinem ätherischen Geiste ähnlich, das Geheimnis, welches die Philosophie durch strenge Methode zu enthüllen suchte, ursprünglich zu besitzen. Daher durfte er sich über alle Gegenstände zwanglos äußern, und wenn er selbst behauptete, der Philosoph solle zwar eine Methode besitzen, aber erst dann lehren, wenn er sie beherrschte und aus ihr heraus, nicht durch sie, darzustellen vermöchte, so spricht er sein eigenes Wesen in der Tat am klarsten und deutlichsten aus.

Er konnte, besonders in größeren Gesellschaften oder in Gegenwart von Fremden, lange stillschweigend, in Nachdenken versunken, dasitzen. Ein zartes Gefühl schien ihm die Gegenwart verschlossener und innerlich entfremdeter Naturen zu verraten; nur wo ihm verwandte Geister entgegenkamen, gab er sich ganz hin. Dann aber sprach er gern und ausführlich und erschien im höchsten Grade lehrhaft.

Alte Männer, die ein bedeutendes leben geführt haben, in welchem sie vielfältig einwirkten, wenn die Epoche ihrer Tätigkeit verschwunden ist und, was sie getan und erlebt haben, als eine habverschollene Vergangenheit der in anderen Richtungen bewegten Gegenwart erscheint, lieben es, über die frühere Zeit, die eigene Tat, ausführlich zu reden, und ist der Erzähler ein geistig Bedeutender, so hören wir ihm gern zu. Die Vergangenheit scheint, wieder erlebt, ihre eigenste Bedeutung zu enthüllen, ja, die lebendige Gegenwart selber durch sie ein tieferes Verständnis zu erhalten. So aus einer tiefen Vergangenheit des Geistes, aus einer ursprünglichen, welche sich in der tätigen Gegenwart nur unklar zu äußern vermag, heraus schien Novalis zu sprechen wie zu schreiben.

Ich sah ihn in Jena nur wenige Tage, in Freiberg, wo er seine Braut, die Tochter des Berghauptmanns von Charpentier, besuchte, nur einige Wochen, dann, schon bedenklich erkrankt, in Dresden. Ich verließ ihn mit der bestimmten Ahnung, ihn nie wieder zu sehen. Wenige Menschen hinterließen mir für mein ganzes Leben einen so tiefen Eindruck. Wenn ich ihm gern zuhörte, so nahm auch er einen freundlichen Anteil an den Ansichten und Ideen, die mich bewegten. Meine geschichtliche Ansicht der Natur schien auch ihm wichtig und für die Zukunft vielversprechend. Was ich von ihm las, was ich von ihm vernahm, mit ihm erlebte, begleitete den Gesang meines Lebens wie eine akkompagnierende Musik, oft wie ein wundersames Echo aus fernen Gebirgen, welches, was in meinem tiefsten Inneren ruhte und was ich kaum auszusprechen wagte, mir laut und geistig reicher wiedergab.

Ich habe später Menschen kennengelernt, die ganz von ihm beherrscht wurden: Männer kennengelernt, die sich durchaus einem praktischen Leben weihten, empirische Naturforscher aller Art, die das geistige Geheimnis des Daseins hochhielten und den verborgenen Schatz in seinen Schriften aufgehoben glaubten. Wie wundersame, vielversprechende Orakelsprüche klangen ihnen die dichterisch-religiösem Gedanken von Novalis, und sie fanden in seinen Äußerungen eine Stärkung, fast wie der fromme Christ in der Bibel.

In der Tat war Novalis im tiefsten Sinne Christ und religiös. Es ist bekannt, daß Lieder von ihm herrühren, die zu den herrlichsten gehören, welche die christliche Kirche kennt. Seine Neigung zum Katholizismus war, wie bekannt, sehr ausgesprochen, ja keiner hat vielleicht mehr als er die Jugend zur  katholischen Religion hingelockt. Später erschien in seinen gesamten Schriften eine Verteidigung der Jesuiten, und dennoch möchte ich behaupten, daß er die innere sittliche Freiheit, das geheime Band einer höheren Entstehung derselben, welches die gereinigte Gesinnung mit Gott verknüpft, den Begriff der Gnade und der Gerechtigkeit durch den Glauben, das eigentlichste Lebenselement der protestantischen Kirche, rein bewahrte. Denn die ganze mythisch katholische Welt war ihm eine zur sittlich-geistigen Religion gesteigerte, nur innerlich sich bewegende und sich gestaltende Poesie. Aber die betäubende Gewalt der Dichtung überwältigte die sekundären Geister, und sie gingen unter in der bunten Welt, die er mit Sicherheit beherrschte.

Mir war in religiöser Rücksicht Novalis wichtig wie keiner. Der tiefe ernst des Glaubens, wie er meine Kindheit durchdrang, fing an, sich zu regen und immer mächtiger alle geistige Untersuchung zu tragen als den schon gegebenen festen Grund des zu Begründenden.

Later in Was Ich Erlebte, Steffens speaks of something else...

Es wird in diesem Schlußanteile meiner Schrift oft von dem, was man schlecht genug Toleranz genannt hat, die Rede sein. So tadelnswert nun diese Benennung ist, so hat sie doch ihren Grund; denn das Negative, die Intoleranz, ist dasjenige, von dem man ausgeht, und sie ist nicht weniger heftig in unseren Tagen, als sie es in dem Zeiten der heftigsten Verfolgung war, weil sie sich nach innen geworfen hat und eine geistige geworden ist.

Eine heitere Gunst des Geschicks hat mich in jeder Epoche meines Daseins vor der Gewalt dieser Kritik gerettet; ich habe mich nie mit einem bloßen Sein des Denkens begnügen können, denn wo ich dieses hinrichtete, behielt ein fröhliches Dasein, welches sich von dem Denken nie trennen ließ, sein ewiges Recht; ich war gezwungen, wo ich stritt, jederzeit zugleich anzuerkennen. Man wird es nicht so anstehen, als betrachtete ich diese mir verliehene Gabe als einen sittlichen Vorzug: es würde sich schlecht zu dem Nachfolgenden passen. Meine Natur zwingt mich, dasjenige, was ich anerkennen muß, als geistig zu meinem Wesen gehörig zu betrachten, mich nie von ihm zu trennen, daher sind Haß und Neid — ich darf es mit der vollsten Wahrheit behaupten — mir mein ganzes Leben hindurch fremd geblieben, und von der Rache kann ich mir, obgleich in Skandinavien geboren, als eine eigene Tat keinen Begriff machen. Man hat mir sogar vorgeworfen, daß  in diesen Erinnerungen aus meinem leben zu wenig skandalöse Chronik vorkomme. Ich habe Tadelnswerkes genug erlebt, aber ich besitze nicht ingrimmige Gesinnung genug, um es mit Freude und dann mit Erfolg darzustellen.

Diese mir durch die göttliche Gnade mitgeteilte Gunst meiner Natur erstreckte sich nicht allein über solche Persönlichkeiten, mit welchen ich während eines mannigfaltig wechselnden Lebens in nähere Berührung kam. Ich hasse keinen Menschen. Das höchst unangenehme und quälende widerwärtige Gefühl des Neides überflog mich wohl manchmal, und ich darf nicht behaupten, daß es mir ganz unbekannt ist, weil ich nach menschlicher Art mich wohl überschätzte und mich auf eine tadelnswerte weise mit anderen verglich: aber dies Gefühl ging bald vorüber, und ich darf mit Wahrheit behaupten, daß ich keinen Menschen beneide. Aber diese unwiderstehliche Neigung des Anerkennens dehn sich auf alle Persönlichkeiten aus, eine jede war eine mir geschenkte innerlich mir zugehörige; ich suchte in ihr eine Einheit des Daseins, in welcher sie durch ihre tiefste Eigentümlichkeit  zwar von mir getrennt schien, aber eben als innerlich mit mir verbündet, je strenger die äußere Trennung, das in sich Abgeschlossene der fremden Persönlichkeit hervortrat; und dieser Standpunkt der Betrachtung, von welchem aus die ganze Geschichte )nicht bloß die verworrene Gegenwart, in welcher ich lebe) mir entgegentrat, ließ sich nur festhalten, wenn das gesamte menschliche Geschlecht sich in eine Große Organisation verwandelte, deren Gesamtentwicklung ich durch alle dunklen Partien der Geschichte zu verfolgen gezwungen war. Aber eine solche Entwicklung war nur möglich, indem ich einen Gesichtspunkt der  Persönlichkeiten zum Grunde legte, der mir die Annahme ihrer Unsterblichkeit aufdrang. eine jede Person ward daher recht eigentlich anerkannt als eine nur aus sich selber begreifliche, daher für jede menschliche Betrachtung ursprüngliche. Bis ich diese Stelle gefunden hatte, blieb mein Urteil ein unsicheres; erst mit dieser fing meine Kritik an, ja, wenn ich sie erreicht hatte, schien mir eine Kritik überflüssig, sie fiel von selbst weg, weil das entschiedene Hervorhaben des Ursprünglichen allem Sekundären seinen Wert raubte.

Aber nicht allein die Geschichte forderte diese Anerkennung, alles Lebendige war ebenso, selbst in seiner endlichen Form nicht aus einem anderen, sondern nur aus sich selber zu begreifen; daher erschien mir die bis dahin herrschende teleologische Ansicht als eine durchaus verwerfliche; daß irgend etwas seine eigentliche Bedeutung erhielt, indem es nur für einen andern und nichts an sich wäre, war mir durchaus unbegreiflich. Es hatte nur ein geistiges Dasein, indem es nicht für diesen oder jenen, sondern für das Ganze daseiend zugleich für sich selbst und aus sich selbst eine Bedeutung erhielt.

Das herrschende Prinzip, das innerste, blieb aber das kosmische. Wir werden bei einer jeden Betrachtung rein aus uns selber hinaus verwiesen, der Masse und ihren Gesetzen unterworfen, einer äußern Unendlichkeit preisgegeben. Diese offenbart nur eine Gesetzmäßigkeit, deren Gesetz fortdauernd verborgen bleibt. Wenn wir von einer uns fremdem Unendlichkeit abhängig sind, ja in ihr untergehen, werden alle Dinge nicht in sich, sondern nur in ihren äußeren Verhältnissen gegeneinander erkannt, und die scharfe Auffassung dieser Verhältnisse, die exakte Physik, bildete die strenge mathematische Logik; die einzig mögliche wissenschaftliche Konsequenz für die Naturbetrachtung war die Mathematik.

Aber dieser mathematischen Richtung der Physik gegenüber erhielt die Betrachtung der Organisation, die alle Mathematik ausschließt, in der Geschichte einen immer größeren Umfang; der Begriff organischer Einheit aller lebendigen Formen wird immer mächtiger und verspricht neben der Gravitationslehre die ihr gebührende geschichtliche Stelle einzunehmen. Diese Ansicht des allumfassenden Lebens war es, die meine Jugend, ja meine Kindheit beherrschte. Was ein nicht zu durchdringendes Gefühl ahnungs- und sehnsuchtsvoll suchte, war nicht irgendeine bloß äußerliche Beziehung der Natur, sondern jene innere geistige Einheit in allem; daher war mir das Geringste so lieb, daher war mir das kleinste Gras eben in seiner bestimmten Form so viel wert und trat mit dem unbedeutendsten Insekt in ein inneres, ich möchte sagen persönliches Verhältnis. dunkel schwebte mir dieses bei allen meinen Studien vor, und indem ich fremde Ansichten aufnahm und teilte, kehrte ich dennoch immer von neuem zu dem zurück, was freilich lange nur freie Phantasie, eine mehr dichterische als wissenschaftliche Bedeutung hatte. Was Schelling mir ward, ist bekannt, ja ein Hauptthema meiner Lebenserinnerungen ist eben dieser Trieb, der mich zu Schelling führte, und meinem Leben seine eigene Bedeutung gab. Mir aber ist das, was ich Naturphilosophie nenne, nichts anderes als die Überzeugung, daß eine organische Konsequenz sich in der Geschichte ausbilden will, eine solche, die in allem, was Gegenstand der Forschung ist, ein Eigenes, sich aus sich selbst Entwickelndes anerkennt und durch diese Anerkennung erst seine Bedeutung für das Ganze zu fassen vermag.