47  Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris 18. 10. 1957

Köln, Am Hof

Herzzeit, es stehn
die Geträumten für
die Mitternachtsziffer.

 Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg,
einiges ging seiner Wege.
Verbannt und Verloren
waren daheim.
……………………………
Ihr Dome
Ihr Dome ungesehen
ihr Wasser unbelauscht,
ihr Uhren tief in uns.

Paris, Quai Bourbon, Sonntag, den 20. Oktober 1957,
          halb drei Uhr nachmittags –

 

48  Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 23. 10. 1957

am 23. Oktober 1957.
Ich kann verstehen, Ingeborg, daß Du mir nicht schreibst, nicht schreiben kannst, nicht schreiben wirst: ich mach’s Dir ja schwer mit meinen Briefen und Gedichten, schwerer noch als bisher.
 Sag mir nur dies: soll ich Dir Schrieben und Dir Gedichte schicken? Soll ich für ein paar Tage nach München (oder anderswohin) kommen?
 Du mußt verstehen: anders konnte ich nicht handeln. Hätte ich anders
gehandelt, es hätte bedeutet, daß ich Dich verleugne – das kann ich nicht.
                                            Sei ruhig und rauch nicht zu viel!
                                                              Paul

 

50  Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 26.- 27. 10. 1957

In Mundhöhe, fühlbar
Finstergewächs.

(Brauchst es, Licht, nicht zu suchen, bleibst
das Schneegarn, hältst
deine Beute.

Beides gilt:
Berührt und Unberührt.
Beides spricht mit der Schuld von der Liebe,
beides will da sein und sterben.)

Blattnarben, Knoten, Gewimper
Äugendes, tagfremd.
Schelfe, wahr und offen.

Lippe wusste. Lippe weiss.
Lippe schweigt es zu Ende.

26. – 27. Oktober 1957


Excerpted from HERZZEIT with the kind permission of Suhrkamp Verlag