RICHARD WAGNER



Ceauşescu amnestiert postum

Letzte Woche in Kopenhagen [March 2010, edits] Auf dem 20. Stock eines Hotels gelangt ein Mann in ein Zimmer, weil die Tür offen steht. Er hat eine Eisenstange dabei, und ein Messer. Als ihm die Bewohnerin des Zimmers, eine norwegische Stewardess, entgegentritt, schlägt er so lange mit der Eisenstange auf sie ein, bis ihr Körper leblos am Boden liegt, um anschließend noch mit dem Messer zuzustechen.

Der Mann geht anschließend ins Bad, um sich die Blutspuren von den Händen zu waschen und die Kleidung notdürftig zu säubern. Er verlässt das Zimmer, als sei nichts gewesen. Er begibt sich ins Hotelcasino und trinkt dort ein Bier. Der Taxifahrer, der ihn anschließend gefahren hat, sagt, der Mann sei höchst redselig gewesen und habe sogar noch die Fahrt verlängern wollen, um sich mit dem Fahrer weiter zu unterhalten. Dieser aber habe abgelehnt.

Der gesprächige Mann, der sich inzwischen der schwedischen Polizei gestellt hat, und von dieser an die dänischen Kollegen ausgeliefert wurde, hat zugegeben, die Frau getötet zu haben. Sie habe geschrieen, er sei in Panik geraten. Mit den Schlägen habe er sie beruhigen wollen, und dann sei es eben passiert.

Für ihn ist es ein Unfall. Dieser Mann aber ist kein unbeschriebenes Blatt. Sein Name ist Marian Clita. Er ist Rumäne, und in Rumänien als Wiederholungstäter bekannt. Er war in zahlreiche Überfälle und Diebstähle seit dem Anfang der Achtzigerjahre verwickelt. Er ist aber auch wegen des Mordes an einem politischen Dissidenten der Ceauşescuzeit rechtskräftig verurteilt. Bei dem Dissidenten handelt es sich um Gheorghe Ursu, einen Bauingenieur, der ein Tagebuch führte, in dem das Ceauşescu-Paar, und vor allem die Ehefrau der Diktators Elena zum Gegenstand von Hohn und Spott wurde. Es war die geheime Rache des Ingenieurs Ursu für seine politische Ohnmacht dem Regime gegenüber.

Durch die Denunziation einer Arbeitskollegin wurde das Tagebuch, das er unvorsichtigerweise in seinem Schreibtisch im Büro aufbewahrte, von der Securitate gefunden und er inhaftiert. Da man seine Festnahme nach einer Hausdurchsuchung, mit den dabei konfiszierten Devisen-Sümmchen begründete, wurde er ins Untersuchungsgefängnis der Stadtpolizei Bukarest gebracht. So umging man eine politische Erklärung für die Festnahme. Man brachte ihn in einer Zelle unter, in der zwei Schwerverbrecher festgehalten wurden. Einer von ihnen war Marian Clita, der Mann, der letzte Woche die Stewardess in Kopenhagen totschlug. Gheorghe Ursu, der Dissident, ist in der Zelle im Polizeiarrest im Herbst 1985 zu Tode geprügelt worden.

Nach der Wende dauerte es, trotz aller Hartnäckigkeit der Familie und der publizistischen Schützenhilfe kritischer Intellektueller noch fast 10 Jahre, bis der neue Inlands-Geheimdienst SRI die Securitate- Akte des Dissidenten zur Verfügung stellte, eine von diesem neuen Geheimdienst offensichtlich gesäuberte Akte. Die Erklärung: In den Fall waren Offiziere eingemischt, die weiterhin im Geheimdienst tätig waren oder sind.

Marian Clita wurde im Jahr 2000 wegen der Tötung des Dissidenten Ursu zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Verfahren aber wurden ihm zunächst einmal 10 Jahre, also die Hälfte des Gesamtstrafmaßes erlassen, und das aufgrund eines Gesetzes von Ceauşescu aus dem Jahr 1988. Er verfügte damals via Dekret eine Generalamnestie für Kriminelle. Die Gefängnisse waren anscheinend überfüllt. Dieses Gesetz ist, man höre und staune, immer noch in Kraft.

Marian Clita, der Mörder, hat seine Tat damit erklärt, dass er Informant der Securitate gewesen sei, und von dieser einen entsprechenden Auftrag erhalten habe. Dieser Aussage ist die Justiz niemals nachgegangen. Marian Clita kam sogar vorzeitig frei. Wegen guter Führung. In Kopenhagen soll er inzwischen erklärt haben, er gehe lieber in einem dänischen Gefängnis einer Arbeit nach, als in Rumänien den Hungertod zu sterben.

Der Planet ist tot, die Satelliten kreisen weiter.

© Richard Wagner